Eintauchen ins lebendige Wasser
Erlebnisbericht zur Veranstaltung «Das rituelle Tauchbad. Die Mikwe» aus der Reihe «Reines Wasser» in der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich
25. Mai 2016, Christof Meier, Leiter der Integrationsförderung der Stadt Zürich
Im Untergeschoss der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ICZ findet sich zwischen fensterlosen Büros und Lagerräumen des Restaurants eine Tür, die in helle, gelb-rot gekachelte und an einen modernen Spa erinnernde Räume führt. Doch die Einrichtungen zur Pflege der körperlichen Hygiene sind hier nur Nebensache; im Zentrum steht das etwa einen Meter tiefe Tauchbad, die Mikwe. Sie ermöglicht praktizierenden Jüdinnen das Eintauchen in natürliches, lebendiges Wasser und dadurch die «Reinigung» (Tahara) von ritueller «Unreinheit» (Tuma). Eine Vertrauensperson, die Mikwefrau, kontrolliert dabei, ob der nackte Körper vollständig vom Wasser umhüllt wird.
Ruth Gellis und Assistenzrabbiner Noam Hertig von der ICZ erläuterten am 25. Mai 2016 den rund 30 Teilnehmenden der vom Zürcher Forum der Religionen im Rahmen der Reihe «Reines Wasser» organisierten Veranstaltung Hintergründe und Alltagspraxis der Mikwe. Bereichert wurde der Abend durch eine Erzählung von Isabel Schär und einem gemeinsamen, die Diskussionen vertiefenden Apéro.
Interessant zu wissen ist beispielsweise, dass rituelle Unreinheit nichts mit Moral, Sünde oder Übertretungen von Geboten zu tun hat, sondern einen (normalen und akzeptierten) temporären spirituellen Zustand bezeichnet, in dem sich eine Person befindet, nachdem sie direkt oder indirekt mit – oft mit dem Tod verbundenen – Körpern oder Objekten in Kontakt kam. Da aber die damit verbundenen Reinigungsrituale mehrheitlich an den zerstörten Tempel gebunden sind, haben sie in der Praxis keine Bedeutung mehr.
Die wichtigste Ausnahme davon ist die rituelle Unreinheit, die durch eine Geburt oder durch Menstruationsblut verursacht wird. Diese wird in der Mikwe gereinigt, womit das Eintauchen in die Mikwe ein Ritual ist, bei dem die verheiratete Frau im Zentrum steht. Die Mikwe schliesst jeweils eine mehrtätige Zeit der sexuellen Enthaltsamkeit ab, was nicht nur Verzicht und Entbehrung mit sich bringt, sondern – mit historischem Blick – den Frauen auch Schutz und Regeneration ermöglicht und – heute noch – Ehepaaren Vorfreude auf die Wiederaufnahme der Sexualität.
Die Mikwe ist an «natürliches», nicht vom Menschen geschöpftes Wasser gebunden. Idealerweise findet sie folglich im Meer, in einem Fluss, in einer Quelle oder mit Regenwasser statt. Die praktische Alternative ist das Tauchbad. Dieses wird so konstruiert, dass Regenwasser aufgefangen und selbst fliessend in die Mikwe kommt. Aber dieses «lebendige» Wasser darf mit geschöpftem Wasser vermischt und z.B. auch geheizt werden. Heute finden sich auf der ganzen Welt eine Vielfalt von Mikwen, sowohl einfache als auch luxuriöse – und vereinzelt werden sie auch von Männern genutzt, welche sich rituell reinigen möchten, obschon sie (mit Ausnahme des Toraschreibers) dazu keine Pflicht haben.