Sterben und Trauern im Judentum
Erlebnisbericht zur Veranstaltung «Heimkehr zum Schöpfer» aus der Reihe «Lebensende» auf dem Friedhof der jüdischen liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich, 22. Juni 2021
Mirjam Läubli, Geschäftsführerin des Zürcher Forums der Religionen
Am 22. Juni 2021 startete die diesjährige Veranstaltungsreihe «Lebensende» des Zürcher Forums der Religionen mit dem Anlass «Heimkehr zum Schöpfer» auf dem Friedhof der jüdischen liberalen Gemeinde Or Chadasch. Diese Veranstaltung hatte schon im Vorfeld viel Aufmerksamkeit erregt – sie war bereits innert weniger Tage komplett ausgebucht, und sehr viele Menschen hätten sich gewünscht, auch noch daran teilnehmen zu können, was aber aufgrund des beschränkten Platzes nicht möglich war. Die 40 Personen, welche einen Platz auf der Teilnehmerliste ergattert hatten, hatten vor dem offiziellen Beginn des Anlasses die Möglichkeit, den Friedhof in Augenschein zu nehmen und die Grabstein-Inschriften in lateinischer und hebräischer Schrift zu studieren.
Während seines rund einstündigen Referats gab dann Rabbiner Ruven Bar Ephraïm lebhaft und anschaulich Einblick in die theologischen Aspekte der jüdischen Bestattungsrituale und ebenso in die praktischen Belange rund um einen Todesfall. Dabei wies er mehrfach auf die vielen verschiedenen Strömungen im Judentum hin, welche eine Vielzahl verschiedener Bräuche hervorgebracht haben. Die innerjüdische Vielfalt wurde den Besuchenden durch den angrenzenden Friedhof der orthodoxen Gemeinde Agudas Achim veranschaulicht.
Allen jüdischen Gemeinden ist gemeinsam, dass die Waschung der verstorbenen Person eine grosse Wichtigkeit zukommt. Im Falle der JLG wird die Waschung oft auf dem Friedhof Witikon vorgenommen, wo sich der Waschraum für muslimische Verstorbene befindet, der somit gemeinsam und religionsübergreifend genutzt wird. Die Waschung wird durch dafür speziell ausgebildete Personen aus der entsprechenden Kommission der Gemeinde vorgenommen und erfolgt nach einem bestimmten Ablauf, grösstenteils in Stille. Dabei kommt heisses Wasser ebenso zum Einsatz wie kaltes Wasser, und es erfolgt eine körperliche Reinigung ebenso wie eine rituelle, spirituelle. Danach erhält jede verstorbene Person dasselbe einfache Gewand. Wenn die Person dann im Sarg liegt, können deren Angehörige, sofern sie dies wünschen, die Vorbereitung zur Bestattung vollenden, und sich an den letzten Handgriffen beteiligen. Das Gesicht der verstorbenen Person bleibt bedeckt, um deren Würde zu wahren, kann sie doch ihre Gesichtszüge nicht mehr kontrollieren. Die Bestattung sollte möglichst rasch erfolgen. Bei der Beerdigung wird die verstorbene Person in der Regel gelobt und gepriesen, um nur positiven Erinnerungen an sie Raum zu geben.
Die Angehörigen sollen sich bis zum Tag der Bestattung nur mit der Beerdigung beschäftigen und alle anderen Angelegenheiten ruhen lassen. Der Tag der Beerdigung markiert den Beginn des Trauerjahres; während dieses Jahres bleiben die Angehörigen grösstenteils daheim und empfangen viel Besuch. Spätestens wenn das Jahr um ist, sollte der Grabstein für die verstorbene Person errichtet sein. Während des ganzen Trauerjahres wird elf Monate lang der Kaddisch (Gebet) gesprochen, und zwölf Monate lang brennt im Gedenken an die verstorbene Person ein Licht im Haus der Trauernden (heute oft elektrisch). Oft spenden die Angehörigen im Namen des Verstorbenen Geld für einen guten Zweck oder lassen ihm zu Gedenken in Israel einen Baum pflanzen.
Die Gräber auf den jüdischen Friedhöfen sind in der Regel ungeschmückt, es gibt auf ihnen keine Blumen; dafür aber die kleinen Steine, welche Besucher des Grabes auf dem Grabstein niederlegen. Sie stehen für die Erinnerung, gilt ein Stein doch als Symbol für das Ewige.
Rund ums jüdische Neujahr besuchen die Angehörigen die Gräber. Diese sind Richtung Jerusalem ausgerichtet. Die ewige Grabesruhe ist ein zentrales Element der jüdischen Kultur. Um diese gewährleisten zu können, müssen die jüdischen Gemeinden die Grundstücke ihrer Friedhöfe erwerben, und die Gräber wiederum müssen von ihren Mitgliedern gekauft werden.