Moscheen, Kirchen und Synagogen. Räume des Glaubens in der Stadt Zürich
Erlebnisbericht zum Interreligiösen Rundgang 2022
18. Mai 2022, Cemile Ivedi, Geschäftsstelle Zürcher Forum der Religionen
Am 18. Mai 2022 fanden sich rund 30 Personen vor der Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) an der Nüschelerstrasse ein, um am interreligiösen Rundgang teilzunehmen, auf dem eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee besucht wurden. Das Besondere an diesem Rundgang war nicht nur, dass er als erster Rundgang nach zwei Jahren Pandemie-bedingter Pause stattfinden konnte, sondern auch dass alle Referierenden am ganzen Anlass teilnahmen. Die Gruppe war sehr divers zusammengesetzt.
Shirtai Holtz, Verantwortlicher für Synagogenführungen bei der ICZ, empfing die Gäste und hiess sie in der Synagoge willkommen. Er erzählte, wie er als jüdisches Kind in Zürich aufwuchs und wie er die hebräische Sprache erlernte. Als er erklärte, dass es im Hebräischen Schriften mit Vokalisierung und solche ohne Vokalisierung gibt, wünschte ein muslimischer Teilnehmer, dass Shirtai Holtz etwas vorlas. «– Aber ohne Vokalisierung!» forderte ihn der Teilnehmer schmunzelnd auf. Shirtai Holtz nahm die Herausforderung lachend an und wünschte sich, dass der Teilnehmer im Gegenzug später in der Moschee auch einen arabischen Text ohne Vokalisierung vorlesen sollte.
Ein besonderer Moment war, als Shirtai Holtz den Toraschrank öffnete. Zu sehen waren zwölf in bestickte, samtene Toramäntel gehüllte und mit glänzenden Torawimpeln geschmückte Torarollen. Shirtai Holtz erklärte, dass eine Torarolle für den Gottesdienstgebrauch von Hand geschrieben werden muss. Das Schreiben einer solchen Rolle dauert etwa ein Jahr und ist deshalb entsprechend teuer. Die Torarollen sind also nicht nur in ideeller Hinsicht wertvolle Kunstwerke und Schätze. Nach weiteren Erläuterungen zum Beten im Judentum beendete Shirtai Holtz die Führung in der Synagoge.
Die ganze Gruppe fuhr mit dem Tram nach Schwamendingen, wo Pfarrer Alfred Böni und die Religionspädagogin Frieda Mathis, die gemeinsam die Pfarrei St. Gallus leiten, die Führung übernahmen. Sie erzählten von ihrer Zusammenarbeit, die für eine katholische Kirche eher ungewöhnlich ist.
Beim Eintreten in die Kirche ertönte Orgelmusik und das Leuchten der Buntglasfenster hinter dem Altar tauchte die Kirche in strahlendes, farbiges Licht. Bevor die Teilnehmenden in zwei Gruppen eingeteilt wurden, erläuterte der Organist die Orgel und das Orgelspiel. Dann folgte ein Teil der Gruppe Alfred Böni zur Kreuznische, ein Teil ging mit Frieda Mathis zum Altar. Im Zentrum der Kreuznische befand sich ein mit einem weissen Tuch geschmücktes Kreuz. Das Tuch symbolisiere die Zeit zwischen Ostern und Auffahrt, also die Zeit zwischen Auferstehung und Auffahrt von Jesus. Nach Auffahrt werde wieder das Kruzifix dort stehen, erläuterte Alfred Böni und machte weitere Ausführungen zur Kirche. Dann wechselte die Gruppe zu Frieda Mathis, die ihre Gruppe an Alfred Böni abgab. Neben dem Altar war ein Ständer mit sakralen Gewändern in verschiedenen bunten Farben aufgestellt. Frieda Mathis erklärte, dass das goldene Gewand an den hohen Festtagen Weihnachten und Ostern getragen werde, das weisse während zwei bis drei Wochen nach den hohen Feiertagen, das violette während der Zeit der Vorbereitungen zu Ostern und Weihnachten, das rote ist für Pfingsten vorgesehen und das grüne Gewand ist für die Zeit im Jahreskreis reserviert, also die Zeit, deren Liturgie nicht zur Vorbereitung der Feiern der beiden Hochfeste Ostern und Weihnachten in Verbindung steht.
Dann spazierten alle Teilnehmenden gemeinsam zum Albanischen Kulturzentrum an der Saatlenstrasse, wo Imam Fahredin Bunjaku der Gastgeber war. Er startete seine Präsentation mit der modernen technischen Ausrüstung der sonst bescheiden eingerichteten Moschee, gab eine kurze Einführung zum Islam und erläuterte ein paar Grundbegriffe. «Unsere Moschee ist keine richtige Moschee», sagte Fahredin Bunjaku «Sie hat kein Minarett.» Um den Gästen eine «richtige» Moschee zu präsentieren, zeigte er auf dem Bildschirm das imposante, moderne Gebäude der Kölner Moschee. Eine Moschee sei deshalb so wichtig, weil das Beten in der islamischen Religion sehr zentral sei, erklärte er. Die Räumlichkeiten des Kulturzentrums verdeutlichen, dass eine Moschee auch ein Treffpunkt ist. Die Moschee sollte immer offen stehen, aber da das Kulturzentrum über sehr geringe finanzielle Ressourcen verfügt, sei das nicht möglich, erklärte Fahredin Bunjaku. Als eine Teilnehmerin fragte, ob er als studierter Theologe seinen Lebensunterhalt nicht als Imam bestreiten könne, antwortete er, dass er als Dachdecker arbeite und das Amt des Imams ehrenamtlich ausübe. Nach weiteren Fragen und Antworten wurden die Gäste in den Pausenraum geführt, wo sie ein opulenter Apéro erwartete.
In einer Ecke der Moschee war zu beobachten, wie der muslimische Teilnehmer, der Shirtai Holtz aufgefordert hatte, Hebräisch ohne Vokalisierung zu lesen, mit einem Koran in der Hand zu ihm ging, um sein Versprechen einzulösen, auch einen arabischen Text ohne Vokalisierung vorzulesen. In der Cafeteria wurde derweil der Apéro eröffnet. Salziges, Pikantes, Süsses – alles, was das Herz begehrte, wurde den Gästen offeriert. Die Teilnehmenden sassen in den verschiedenen Räumen mit Mitgliedern des Kulturzentrums zusammen und liessen den Abend mit Gesprächen ausklingen. Während dem Plaudern hallten die Worte von Fahredin Bunjaku nach, mit denen er die Schwamendinger Moschee beschrieb: «Eine kleine Moschee mit grossem Herz.»