Erster Haarschnitt, letztes Gewand
Erlebnisbericht zur Veranstaltung «Workshop zu jüdischen Traditionen» aus der Reihe «Umhüllt. Kleidung im religiösen Kontext» in der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich
31. Mai 2023, Bettina Bütikofer, Delegierte der Integrationsförderung der Stadt Zürich
Nach passierter Sicherheitskontrolle am Eingang der Israelitischen Cultusgemeinde und der herzlichen Begrüssung teilen sich die 60 Besucher*innen auf die vier Referent*innen auf. Am ersten Tisch erwartet uns Shirtai Holtz, der Verantwortliche für interreligiösen Dialog der ICZ, mit einer Auslage von verschiedenen Kippas, einem Tallit und weiteren Textilien. Die Kippa ist die traditionelle religiöse Kopfbedeckung jüdischer Männer. Gläubige Juden zeigen damit ihre Ehrfurcht und Demut gegenüber Gott. An Gebetsorten wie beim Synagogenbesuch oder auf jüdischen Friedhöfen tragen alle Männer eine Kippa; religiöse Juden tragen sie auch im Alltag. Je nach religiöser Zugehörigkeit kann der Stoff, die Farbe und die Musterung variieren. Streng-orthodoxe Juden tragen zum Beispiel eine schwarze Kippa, modern-orthodoxe oft farbige Kippas. Das viereckige helle Tuch mit blauen oder schwarzen Streifen, der Tallit, ist der Gebetsmantel, der während des Morgengebets über Kopf und Schultern gelegt wird. Ebenfalls zeigt uns Shirtai Holtz den Sargenes oder Kittel, das Hemd, das die Verstorbenen bei ihrer Beerdigung tragen und die Männer zur Hochzeit geschenkt bekommen.
Nach 15 Minuten ertönt israelische Musik, welche das Signal für das Wechseln des Tisches ist. Dort erläutert uns Dani Wormser die Kopfbedeckung und Bekleidung der ultra-orthodoxen Juden, zu denen er sich selbst zählt. Das weisse Hemd, die schwarzen Hosen, der schwarze Kittel, die schwarze Kippa und den schwarzen Hut ist sozusagen die Uniform der streng religiösen aschkenasischen Juden; ein Brauch, der aus Osteuropa stammt und bis in die Gegenwart beibehalten wurde. Die traditionelle Kleidung erinnert ihn täglich daran, sich selbst und seiner Religion treu zu bleiben. Das Prunkstück der Garderobe der Chassiden ist der grosse, wertvolle Pelzhut, der Schtreimel, der nur zu Schabbat und Feiertagen getragen wird.
Schoschana, eine Software-Ingenieurin, stellt am dritten Tisch die unterschiedlichen Kopfbedeckungen für religiöse jüdische Frauen vor. Sie hat eine ganze Auswahl an Haarschmuck, Hüten und Stoffen mitgebracht. Die Gründe für das Tragen einer Haarbedeckung sind vielfältig. Sie können aus religiösen Gesetzen abgeleitet werden oder auch aus religiös-spirituellen Gründen, als Ausdruck der jüdischen Identität und Zugehörigkeit getragen werden. Eine Perücke, mit der die eigenen Haare komplett verdeckt werden, tragen nur die ultra-orthodoxen Frauen. Die modern-orthodoxen Frauen entscheiden für sich selbst welche Art der Kopfbedeckung sie benützen möchten. Das kann von einer Mütze bis zum symbolischen schmalen Haarband variieren.
Am vierten Tisch ordnet Rabbiner Noam Hertig die Fragen zur Kleidung und Kopfbedeckungen nochmals theologisch ein. In den jüdischen Schriften findet sich nicht für alles eine religiöse Grundlage. So sagt die Torah zum Beispiel wenig zu Kleidervorschriften. Selbst für Rabbiner gibt es keine Vorschriften, ausser dass sie sich sittsam kleiden sollen. Das Tragen der Kippa ist ebenfalls kein Gesetz, sondern ein Brauch. Stark verankert ist jedoch die Tradition, dass beim Beten der Kopf bedeckt sein soll. Das erinnert die Gläubigen daran, dass es über ihnen noch etwas Grösseres gibt.
Die Besucher*innen erfuhren bei dieser Begegnung unglaublich viel in kurzer Zeit und konnten sämtliche Fragen, die sie zum Thema hatten, stellen. Dank der vier unterschiedlichen und tollen Referent*innen kam die Vielfalt der religiösen Kleidungspraxis je nach religiöser Tradition zum Ausdruck. Der Abend war bereichernd und ein voller Erfolg! Herzlichen Dank!