Pilgerreisen im Hinduismus
Erlebnisbericht zur Veranstaltung «Spirituelle Orte und heilige Flüsse» aus der Reihe «Pilgerstätten» im Krishna Tempel Zürich
22. Juni 2022, Hanna Kandal-Stierstadt, Delegierte der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich
Schon auf dem Gartenweg vor dem Krishna-Tempel an der Bergstrasse tönt einem der Mantragesang des Chores entgegen: Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma Rāma Rāma Hare Hare.
Im Innenraum haben sich an die 50 Personen versammelt, um der Krishna-Gemeinschaft auf einer virtuellen Reise zu Pilgerstätten entlang des Ganges-Flusses zu folgen. Zunächst trägt der Gesang die Tempelzeremonie. Vor einer paradiesisch anmutenden Landschaft mit See, Schilf und Lotus-Blüten, Vögeln, Schwänen und Pfauen thronen Statuen der Gottheit in glänzenden Gewändern und mit gütigen Augen. Eine Priesterin grüsst die Gottheit mit Licht und Duft. Sie scheint dafür da zu sein, um der Gottheit zu dienen und dafür zu sorgen, dass es ihr gut geht. Das gesegnete Licht wird herumgereicht, die Teilnehmenden können sich symbolisch die Barmherzigkeit der Gottheit zufächeln. Am Wohlgefühl der Gottheit haben die Anwesenden rituell Anteil. Das Gesamtbild sagt mir: Alles Gute ist für dich da.
So eingestimmt lasse ich mich gern von Priester Krishna Premarupa Dasa mitnehmen auf die Pilgerreise zu spirituellen Orten und heiligen Flüssen Indiens. Sie tragen so klangvolle Namen wie Devaprayag «Treffpunkt der Götter», Haridvar «Tor zu Gott», Rishikesha «Hauptstadt des Yoga» oder Vrindavana «Geburtsort von Krishna» und Mayapur «Geburtsort des goldenen Avatars».
Im Verständnis der hinduistischen Traditionen ist ein Ort heilig, wenn Gott dort erschienen ist. Die Erscheinung der Göttlichkeit in der Welt heisst Avatar. Die Pilgernden verbinden sich auf ihrem spirituellen Weg mit der Gottheit und sammeln dadurch positive Karmakräfte. Heilige Orte sind nicht unbedingt auf den ersten Blick als solche erkennbar. Oft liegen sie unter der ambivalenten Realität wie unter einem Schleier verborgen. Ihre spirituelle Kraft erschliesst sich den Suchenden. Wer entlang des Flusses Ganga pilgert, kann die Heiligkeit eines Ortes eher durch die Ohren wahrnehmen: im Gurgeln und Fliessen des Wassers, im Klang des göttlichen Namens, im Geräusch der Meditationssteine, die in den heissen Sand fallen…
Gesänge begleiten die zahlreichen Pujas, die entlang der Flussufer stattfinden. Puja wird eine gottesdienstliche Zeremonie genannt, in der alle Elemente der Schöpfung repräsentiert sind. Krishna Premarupa demonstriert im Tempel den Ablauf einer Puja, und die Anwesenden können sich etwas von dem gesegneten Wasser der Ganga auf die Haut tröpfeln.
Als Gast mit christlichem Hintergrund fühle ich mich im Krishna-Tempel gut aufgehoben und getröstet. Die «physische» Präsenz der Gottheit und des spirituellen Meisters wecken mein Vertrauen, dass ich mich dem Fluss des Lebens ohne Angst überlasse. Einige Fragen begleiten mich auf dem Heimweg, wenn ich an mein eigenes reformiertes spirituelles Leben denke: Tun unsere Gottesdienste Gott gut? Ist Jesus ein Avatar Gottes? Wie viel Zeit in meinem Leben widme ich Gott? Was ist für mich die Welt?