«Das Geheimnis des YabYum»
7. November 2023, Claudia Geiser, Geschäftsstelle Zürcher Forum der Religionen
Für den Vortrag des buddhistischen Lehrers Thomas Lempert im tibetisch-asiatischen Kulturzentrum Songtsen House fanden sich am Dienstagabend 20 Gäste ein. Nach einer kurzen Begrüssung durch Claudia Geiser vom Zürcher Forum der Religionen und Daniel Aufschläger, Vorstandsmitglied des Songtsen House, begann Thomas Lempert mit seinen Erläuterungen. Anhand von Thangkas (buddhistischen Rollbildern), Skulpturen und einer Präsentation mit Fotos stellte er verschiedene Aspekte des tibetisch-buddhistischen Bildwerks des YabYum vor.
Zuerst erklärte er, dass man den Buddhismus nicht für sich selbst praktiziere, sondern als Mittel zur Erlösung für alle fühlenden Wesen. Dabei werde im tibetischen Buddhismus auch Alltägliches in die Spiritualität einbezogen. Der Buddhismus sei eine Erfahrungsreligion, bei der die eigene Erfahrung zentral sei; schon Buddha habe gesagt, man solle nicht einfach annehmen, was er lehre, sondern es selber überprüfen. Auf den Titel des Vortrags anspielend, erläuterte Thomas Lempert dann die komplexen Bedeutungsebenen des Wortes «Geheimnis» im tibetischen Buddhismus. Dabei kann es sich beispielsweise um etwas handeln, das natürlicherweise verborgen ist oder nur vom Lama (einem buddhistischen Lehrer) bei einer Einweihung an seine Schüler*innen weitergegeben wird. Die YabYum-Bildwerke, die zwei Gottheiten in Vereinigung zeigen, sind selber nicht geheim, sie sind unter anderem in Tempeln für alle sichtbar. Ihre zahlreichen Bedeutungen sind jedoch nicht allen zugänglich. Während «Yab» wörtlich übersetzt Vater heisst und «Yum» Mutter, kann die Vereinigung der Gottheiten je nach Perspektive die Vereinigung von Methode und Weisheit, Körper und Geist oder von weiteren Gegensätzen symbolisieren.
Dann ging Lempert auf die Attribute der Gottheiten ein und erklärte die vielfältigen Bedeutungen von Schädelschale und Hackmesser in den Händen der Göttin, von Frisuren, Schmuck, Kleidung, Farben oder Gesichtsausdrücken. Wichtig ist auch die Lotosblüte, auf der sich die Gottheiten befinden. Sie steht für die Reinheit, die sich aus dem Schlamm erhebt, und ihre Oberfläche kann mehrere Ebenen (mit jeweils eigener Bedeutung) übereinander haben. Gottheiten, wie sie im YabYum dargestellt werden, existieren jedoch nicht in der realen Welt, vielmehr stellen sich die Praktizierenden, wozu auch ein Teil der Mönche und Nonnen gehört, sie sich vor. Das YabYum-Bildwerk zeigt, dass es das Männliche und das Weibliche braucht, um Vollkommenheit oder Glückseligkeit zu erreichen.
Schliesslich kann es für Praktizierende, die sich schon auf einer höheren Ebene befinden, auch um eine reale Vereinigung mit einer Partnerin beziehungsweise einem Partner gehen. Dabei ist aber nicht Lust das Ziel, sondern Erwachen [im Sinne von Erleuchtung]. Es ist eine schwierige Praxis, aber geheim ist sie nicht, zumindest in tibetischer Sprache sind die Texte dazu frei zugänglich. Zum Abschluss des Abends nahmen zahlreiche Anwesende gerne die Gelegenheit wahr, Thomas Lempert Fragen zum anspruchsvollen und spannenden Thema des YabYum zu stellen.