Die postkoloniale Bibel
9. November 2022, Christof Meier, Delegierter der Integrationsförderung der Stadt Zürich
Die vom ZIID durchgeführte Veranstaltung fand online mit rund 45 Teilnehmenden statt. Referentin war Tania Oldenhage, Pfarrerin an der Johanneskirche in Zürich und Privatdozentin an der Theologischen Fakultät der Uni Basel. Sie berichtete von ihren ersten Kontakten mit dem Thema in den 1990er-Jahren in den USA und wies unter anderem darauf hin, dass das Thema Kolonialismus nicht nur ein christliches, sondern ein interreligiöses ist, und dass es heute auch theologisch nicht mehr möglich sei, postkoloniale Fragen auszuklammern. Dabei geht es grundsätzlich um drei Hauptfragestellungen, die sie jeweils mit verschiedenen Beispielen erläuterte. Erstens geht es um das Erkennen und Untersuchen von Orientalismen in der Bibelwissenschaft. Damit gemeint sind beispielsweise Aussagen westlicher Forschender über die «Realität» Westasiens, die aus heutiger Sicht falsch und anmassend sind, aber teilweise trotzdem noch stark nachwirken. Zweitens geht es um die Auseinandersetzung mit biblischen Texten wie dem «Missionsbefehl» in Matthäus 28 («Gehet hin und macht alle Völker zu Jüngern»), der im Wissen um die damaligen Wortbedeutungen und Hintergrundgeschichten auch als Widerstandstext gelesen werden kann. Und drittens wird die Rolle biblischer Texte in der Geschichte des Kolonialismus erforscht, in der neben dem (erst seit Ende des 18. Jahrhunderts wirkungsmächtigen) Matthäuszitat insbesondere die Paulusbriefe wichtig waren. Wie stark diese Diskussionen in der heutigen Kirche angekommen sind, zeigen unter anderem die von der Referentin in einer Literaturauswahl zusammengestellten Texte.