Jenseits des Jüngsten Gerichts
Erlebnisbericht zur Veranstaltung «Jenseits des Jüngsten Gerichts. Tod und Auferstehung im Christentum» aus der Reihe «Lebensende» auf dem Friedhof Sihlfeld, 8. September 2021
Claudia Geiser, Mitarbeiterin der Geschäftsstelle
Wie die ersten beiden Anlässe war auch der dritte Anlass der Veranstaltungsreihe «Lebensende» ausgebucht. Er widmete sich am 8. September 2021 auf dem Friedhof Sihlfeld dem Thema «Jenseits des Jüngsten Gerichts. Tod und Auferstehung im Christentum». Nach einer Begrüssung durch die Geschäftsführerin Mirjam Läubli wurden die 55 Teilnehmenden in zwei Gruppen abwechselnd von der katholische Theologin und Seelsorgerin Veronika Jehle und vom Leiter des Friedhof Forums, Reto Bühler, durch den grössten Zürcher Friedhof geführt und konnten so das Thema des Abends aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven kennenlernen.
Veronika Jehle führte ihre Gruppe zum Grab von Gottfried Keller, zu einem Gemeinschaftsgrab, zu einer kleinen Abdankungshalle und zu einem Bestattungsfeld. An jedem Ort ging sie anhand einer Bibelstelle auf unterschiedliche Jenseitsvorstellungen im Christentum ein. Sie erläuterte, dass das Konzept von Himmel, Hölle und Fegefeuer wohl am bekanntesten sei, auch wegen seiner grossen kulturhistorischen Bedeutung. Im Neuen Testament spreche Jesus aber in ganz unterschiedlichen Bildern vom Himmelreich. Es werde beispielsweise mit der Welt Gottes, mit einem grossen, ewigen Fest mit guter und gerechter Ordnung, mit einem Haus mit vielen Wohnungen oder mit einem Senfkorn, welches als kleinstes Korn zur grössten Gartenpflanze werde, verglichen.
Beim Bestattungsfeld thematisierte Veronika Jehle zusätzlich die römisch-katholischen Bestattungsrituale und erklärte, dass bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 nur Erdbestattungen möglich gewesen seien. Heute gebe es unterschiedliche Möglichkeiten, so dass Seelsorgerinnen und Seelsorger die Bestattung freier gestalten und auch auf die Wünsche der Angehörigen eingehen könnten. Die Rituale unterscheiden sich auch je nach Ort der Bestattung; in Zürich seien Bestattungsrituale am Grab und eine Abdankungsfeier verbreitet.
Nach dem Abschluss des ersten Teils trafen sich die beiden Gruppen bei einem Feld mit vielfältigen, gut erhaltenen Grabsteinen von aufgehobenen Gräbern. Dort kann man innehalten, und man darf die Grabsteine auch berühren. An diesem Ort wechselten auch die Referierenden zur jeweils anderen Gruppe.
Reto Bühler führte seine Gruppe in einen weiteren Teil des weitläufigen Friedhofs, der 1877 erbaut wurde. Während der Friedhof Sihlfeld heute mitten in Zürich liegt, befand er sich zur Zeit seines Baus noch ausserhalb der Stadt. Früher hatten Friedhöfe nicht zur Stadt, sondern zu den Kirchen gehört, aber aufgrund der rasch wachsenden Stadtbevölkerung fehlte für die Bestattungen zunehmend der Platz. Zudem kam ein Bewusstsein für Hygiene auf und für die Seuchengefahr, die von Friedhöfen ausgehen konnte. Zu dieser Zeit begann sich auch die Kremation durchzusetzen, für die damals noch ein Verein zuständig war und nicht die Stadt Zürich; die erste Kremation auf dem Friedhof Sihlfeld (und die erste in der Schweiz überhaupt) fand 1886 im ursprünglichen Krematorium statt. Die grosszügige Anlage des Friedhofs, der nach dem Vorbild des Wiener Zentralfriedhofs gebaut wurde, ermöglichte es ausserdem dem wohlhabend gewordenen Bürgertum, sich mit einem Grabdenkmal ein Statussymbol errichten zu lassen. Entsprechend befinden sich viele Gräber prominenter Verstorbener auf dem Friedhof.
Reto Bühler führte die Gruppe abschliessend zum Alten Krematorium, das 1915 den zu klein gewordenen Vorgängerbau ablöste und in dem Teil des Friedhofs liegt, der im frühen 20. Jahrhundert neu gebaut wurde. Mit seiner Mischung aus verschiedenen Stilen ist dieses Krematorium ein für diese Zeit einzigartiger Bau. Unter anderem befinden sich darin Kutschen, in denen früher wohlhabende Verstorbene mit einem Trauerzug durch die Stadt gefahren wurden, wie Reto Bühler anhand von historischen Fotografien von Heimplatz und Rämistrasse zeigte. Wie das ursprüngliche Krematorium ist auch das Alte Krematorium heute nicht mehr in Betrieb, beide Bauten dienen als Abdankungshalle.
Einig waren sich Veronika Jehle und Reto Bühler darin, dass Friedhöfe langsam aussterben. Das liege unter anderem daran, dass die Angehörigen der Verstorbenen heute aus einer Vielzahl von Bestattungsorten wählen könnten, dass die Erinnerungskultur sich verändert habe, weshalb viele Menschen keinen festen Erinnerungsort für ein Grab mehr wollten, und dass man die Asche auch nicht mehr bestatten lassen müsse. Während Einzelgräber weniger nachgefragt werden, sind Gemeinschaftsgräber in den letzten Jahren allerdings sehr beliebt geworden.
Zum Abschluss des Abends konnten sich die Teilnehmenden noch die aktuelle Ausstellung des Friedhof Forums zum Thema des würdigen Sterbens ansehen oder den Referierenden Fragen stellen. Wie zahlreiche Rückmeldungen zeigten, wurden die kompetent und spannend vorgetragenen Führungen von Veronika Jehle und Reto Bühler sehr geschätzt. Viele Teilnehmende freuten sich bereits auf den nächsten Anlass der Reihe.